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Achtsamkeit in Kriegszeiten

Achtsamkeit in allen Zeiten, vor allem in Kriegszeiten

„Es gibt keinen Weg zum Frieden. Frieden ist der Weg.“

Mahatma Ghandi

Im benachbarten Europa, in der Ukraine, ist am 24.2.2022 Krieg ausgebrochen.

In Europa ist Krieg, unschuldige Menschen, die genauso im Frieden leben möchten wie wir, werden unnötigerweise verletzt, getötet, verlieren ihr Zuhause, erleiden Schaden und sind willkürlichem Terror ausgesetzt.

Die Explosionen in Kiew fühlten sich so unmittelbar an, als seien sie in der Berliner Nacht zu hören.

Diese Nachricht bestürzt uns hierzulande ausnahmslos: Unsere Welt ist seit dem 24.2. über Nacht erschüttert worden.

Wir, im Nachkriegsdeutschland großgeworden, sind im tröstlichen Vertrauen aufgewachsen: Frieden galt für uns immer als höchste gesellschaftliche Priorität – daran war nicht zu rütteln.

„Frieden ist nicht alles, ohne Frieden ist alles nichts.“

Willy Brandt, 1981

Auch wenn diese Priorität in den vergangenen Jahren immer wieder auf eine harte Probe gestellt wurde, hatten wir hierzulande seit der Katastrophe des 2. Weltkrieges das Glück, viele Jahrzehnte lang im Frieden zu leben. Erst jetzt wird uns bewusst, wie unbeschwert dieses Leben auf gewisse Weise war, auch wenn das Trauma des vergangenen Weltkrieges in unserer Nachkriegsgeneration nach wie vor ein Schattendasein führte.

Seit langer Zeit beschäftigt mich die Frage, wie die Praxis der Achtsamkeit in Kriegszeiten gelebt werden kann.

Zum Glück haben wir dafür wunderbare Vorbilder: Angefangen bei Mahatma Ghandi als Vertreter des „gewaltlosen Widerstandes“, über Dr. Martin Luther King als herausragender Vertreter im gewaltfreien Kampf gegen Unterdrückung und soziale Ungerechtigkeit, dem Dalai Lama als „Botschafter des Friedens“ oder den sanften Mönch Thich Nhat Hanh, der sich nachhaltig für den Frieden in seinem Heimatland Vietnam einsetzte.

Diese Vorbilder lebten uns das vor, was für uns in Zeiten wie diesen so wichtig ist:

Achtsamkeit in Kriegszeiten.

Thich Nhat Hanh beispielsweise, begründete die Bewegung des „engagierten Buddhismus“ als der Krieg in Vietnam einzog – eine Mischung aus meditativen Erfahrungen und aktiver Hilfe für die Menschen, die unter dem Krieg zu leiden hatten.

Daraus entstanden die legendären fünf Achtsamkeitsübungen, die in fast allen buddhistischen Schulen in unterschiedlicher Betonung gelehrt werden.

Die erste Achtsamkeitsübung laut Thich Nhat Hanh, die Ehrfurcht vor dem Leben, ist wohl die wichtigste Richtlinie für den Frieden: „Im Bewusstsein des Leids, das durch die Zerstörung von Leben entsteht, geloben wir Mitgefühl für ausnahmslos alle lebendigen Wesen. Wir erlernen Wege, um das Leben von Menschen, Tieren, Pflanzen und Mineralien zu schützen. Es geht um die Entschlossenheit, nicht zu töten, das Töten durch andere zu verhindern und keine Form des Tötens zu dulden, sei es auf der Welt, in unseren Gedanken oder in unserer Lebensweise“.

Der Aspekt des Mitgefühls für alles Lebende erscheint mir hier als Haltung besonders wichtig. Und auch hier beginnt es einmal wieder bei uns selbst, bei unseren Gedanken, unserer geistigen Grundlage, so wie es uns auch der Talmud lehrt.

Vielleicht ist die größte Herausforderung für uns alle, den Krieg in unseren Gedankenströmen und inneren Dialogen zu beenden.

Ich habe mich darin ebenfalls täglich zu üben.

Jede*r hat seinen „Ur-Schmerz“, bei mir als Beobachterin ist es die Enttäuschung über die Menschheit.

Seit diesem Tag, an dem ich morgens aufwachte und die entsetzliche Nachricht erfuhr, dass Krieg in Europa herrscht, war diese Enttäuschung wieder besonders stark.

Das Einzige, was mir dabei hilft: Bedingungslose, unschuldige Liebe für alle lebendigen Wesen samt ihren Unzulänglichkeiten.

In der Theorie weiß ich, dass diese unschuldige Liebe ausnahmslos allen lebendigen Wesen zusteht. Ich habe ein Anrecht darauf, genauso wie mein Nachbar, ebenso jeder Mensch, der eine Gefängnisstrafe ableistet- ja, auch jeder Kriegsverbrecher hat ein Anrecht darauf.

Ich habe oft versucht, mir vorzustellen, wie es wäre, einem Adolf Hitler zu begegnen.

Könnte ich ihm diese unschuldige Liebe, die jedem lebendigen Wesen nach der buddhistischen Auffassung von Achtsamkeit zusteht, entgegenbringen?

Die Antwort darauf habe ich bis heute nicht gefunden.